Was es heißt, die Persönlichkeit zu kennen
Michael Seibel • Zum Ende der Ideengeschichte eines Konstrukts (Last Update: 25.02.2015)
Von Zeit zu Zeit ist es nötig, sich vor Augen zu halten, was Wissen
in einer empirischen Sozialwissenschaft bedeutet, wie es dort
generiert wird, und wo der wesentliche Unterschied zum Alltagswissen
liegt. Denn das ist sehr unübersichtlich geworden.
Wo
liegen zum Beispiel die grundlegenden Unterschiede, ob ich etwas über
bestimmte, mir bekannte Menschen weiß, oder ob ein Psychologe
behauptet, die Persönlichkeitsmerkmale derselben Menschen zu
kennen?
Der
erste gravierende Unterschied: Der Psychologe kennt diese Menschen
gar nicht. Ich hingegen kenne sie. Ich lebe mit ihnen zusammen. Aber
selbstverständlich muss er sie auch nicht kennen. Es reicht,
wenn sie seine Fragebögen ausfüllen. Dennoch! Das ist
unbedingt zu erinnern: Ich kenne Sie. Er kennt sie nicht. Das sollte
zumindest einen ersten Verdacht darüber stützen, dass er
mit Wissen etwas anderes meinen könnte als ich.
Was
besagt es, dass ich sie kenne? Es ist möglich, dass ich sie
nicht gut genug kenne oder dass mich der eine oder andere, warum auch
immer, hinters Licht geführt hat oder dass ich selbst in ihm
etwas anderes sehen wollte als das, was ich hätte sehen können,
hätte ich es nur gewollt. Ganz nebenbei lerne ich dabei auch
mich selbst besser kennen. Und doch: Ich vergleiche die Menschen, die
ich gut kenne, mit anderen Menschen in ähnlichen Situationen,
schaue mir meine Bekannten in ganz unterschiedlichen
Lebenssituationen an, in trivialen und in für mich oder sie
bedeutsamen, bedenke, wie sie sich in der Vergangenheit entschieden
haben, welchen Problemen sie sich stellen und welchen sie lieber aus
dem Weg gehen. Ich habe erlebt, dass sie bestimmte Fähigkeiten
haben. Ich kenne viele von ihnen schon lange und habe bemerkt, wie
sie sich verändert haben und wann sie eigentlich heute noch so
reagieren wie vor vielen Jahren. Das ist ohne Zweifel Wissen, denn es
bewährt sich im täglichen Umgang mit meinen Mitmenschen.
(1)
Das
ist der grobe Rahmen, in dem ich behaupten würde: ich weiß
etwas von meinen Mitmenschen. Ich nehme an, die meisten Menschen
sehen das ähnlich. Dazu haben wir im Laufe der Jahrtausende ein
umfangreiches Instrumentarium intellektueller Instrumente entwickelt.
Beispielsweise verfügen wir über unglaublich viele Worte,
um, wenn es sein muss, sehr genau qualitativ zu differenzieren, was
wir an anderen und an uns selbst wahrnehmen. Man hat sie nachgezählt.
Die erste systematische Zusammenstellung für
die englische Sprache soll von Allport und Odbert (1936) stammen, die
die annähernd 550.000 Worte von Webster‘s New
International Dictionary aus dem Jahre 1925 nach Adjektiven,
Partizipien und Substantiven durchsuchten, die
Persönlichkeitsdispositionen bezeichneten. Man kam auf eine
Liste von knapp 18.000 Worten.
Dass
es derart viele Wörter zur Beschreibung dessen gibt, wie der
andere 'drauf ist', zeigt, dass die Sprecher einer Sprache intensiv
zusammengearbeitet haben müssen, um sich auf ein so
reichhaltiges Repertoire zu verständigen und dass sie dabei
einen Weg gefunden haben, die Resultate ihrer Erfindungs- und
Beschreibungsgabe zu tradieren. Es ist die Arbeit des Sprechens und
der Schrift, des miteinander Sprechens in der Polis, der Literatur,
der Entwicklung von Kultur.
Zudem
ist zu sagen, dass wir die 18.000 Worte nicht isoliert von den
anderen 530.000 Worten gebrauchen, weil wir uns den Anderen mit all
seinen Befindlichkeiten und Eigenarten in der gemeinsamen Welt
verständlich machen.
Dies
Geschäft war und ist kein wissenschaftliches, sondern ein
lebensweltliches, der Umgang mit Sprache darin ist alltagssprachlich
und wird in elaborierterer Form zu Literatur.
Wir
zielen intentional auf je Besonderes ab, auf konkretes Einzelnes,
dass wir gegen anderes Einzelnes und gegen das, was wir für
allen oder einigen gemeinsam halten, unterscheiden. Die Situationen,
in denen wir differenzieren, sind konkret, und uns ist keineswegs
gleichgültig, ob wir von Peter sprechen, oder von Paul. Eine
Sprache, in der es nicht darum geht, das Besondere auszudrücken,
benötigt keine 18.000 Eigenschaftsworte und kein Lexikon mit
mehr als einer halben Million Wörtern.
Und in der Philosophie?
Den Menschen und seine Eigenschaften betreffende Inventare sind keine
Erfindung moderner Psychologen, sondern wurden seit der Antike
immer wieder vorgeschlagen, wenn es um die möglichen Gründe
für die Festigkeit oder Gefährdung des Charakters ging, um jenes Schiff,
das von den Wellen der Leidenschaften hin und her gestoßen wird.
Die Auflistungen waren durchgängig ethisch motivierte Versuche der Selbstvergewisserung.
Ihr antiker Herkunfsort sind Weisheits- und Klugkeitslehren.
Mal
waren die Listen länger und manchmal kürzer. So nennen die
Stoiker 130 Leidenschaften, die man kontrollieren muss, um Freiheit
von Leidenschaften (Apatheia), Selbstgenügsamkeit (Autarkie) und
Unerschütterlichkeit (Ataraxie) zu erlangen, um, wie Seneca
sagt, »Herrschaft über sich selbst zu gewinnen,
über das größte aller Reiche.«.
Spinoza zählt 48 Leidenschaften (Die Ethik nach geometrischer
Methode dargestellt (1677)) und René Descartes beschreibt 42
Leidenschaften (Über die Leidenschaften der Seele (1649))
Gängige Kriterien für Wissenschaftlichkeit
Was
macht der empirische Psychologe anders? Hier
seien zunächst die allgemeinen Kriterien für Theorien in
empirischen Wissenschaften rekapituliert. Wissenschaftler fordern: Es
muss sich explizit definieren lassen, was mit den Begriffen der
Theorie gemeint ist, sodass möglichst jeder Wissenschaftler die
Begriffe gleich verwendet. Die Begriffe der Theorie sollen sich
direkt oder indirekt auf Beobachtungsdaten beziehen. Aussagen, die
sich aufgrund der Theorie machen lassen, dürfen sich nicht
widersprechen. Die Aussagen der Theorie müssen empirisch
überprüfbar sein. Sie sollten alle bekannten Phänomene
des Gegenstandsbereichs der Theorie erklären. Dabei sollte die
Theorie möglichst wenig Grundbegriffe benötigen und die
Theorie sollte sich praktisch anwenden lassen. Explizitheit,
empirischer Charakter, Widerspruchsfreiheit, Prüfbarkeit,
idealerweise Vollständigkeit, Sparsamkeit
und praktische Anwendbarkeit,
das wären Kriterien empirischer Wissenschaften.
Wenn
Persönlichkeitspsychologie die empirische Wissenschaft von den
überdauernden, nichtpathologischen, verhaltensrelevanten
individuellen Besonderheiten von Menschen innerhalb einer bestimmten
Population sein soll, dann müsste eigentlich jedes einzelne
Individuum der betreffenden Gesamtheit mehrfach auf seine
Besonderheiten hin befragt werden. Dazu müsste man sich des
gesamten Sprachmaterials bedienen, mittels dessen solche
Besonderheiten ausgedrückt werden, also etwa eines
Fragenkatalogs, der alle möglichen 18.000 Ausdrücke und
deren weltliche Kontexte einbezieht.
Es
versteht sich bisher von selbst, dass wir davon weit entfernt
sind. Empirische Sozialwissenschaften sind Techniken der methodischen Reduktion. Das Wort
empirisch bedeutet nicht einfach, das Beobachtung Grundlage des
Wissens sein soll, sondern ausschließliche die Beobachtung von
extrem eingegrenzten, sich wiederholenden Bereichen des Realen.
Das ist offensichtlich ein grundlegender Unterschied zur alltäglichen Lebenspraxis. Jeder,
der mit offenen Augen durch seinen Alltag geht, kommt einer
Vollerhebung seiner Umgebung bei weitem näher als ein
Psychologe. Unsere Grundgesamtheit ist viel kleiner, weil uns unsere
Verkehrsformen und Kommunikationsmöglichkeiten begrenzen.
Sie besteht aus den Menschen, mit denen wir zu tun haben, und
wir benutzen dabei in der Tat einen Großteil der sprachlichen
Möglichkeiten, um selbst feinste Unterschiede, die Menschen für
uns unverwechselbar machen, festzustellen und zu beschreiben.
Wir
reduzieren in geringerem Maß und anders. Denn wir erleben ganz
alltäglich zumindest einige der Menschen um uns herum auf dem
Niveau unverwechselbarer Einzigartigkeit und sind durchaus in der
Lage, sie auch so zu beschreiben. Unverwechselbarkeit und
Identifizierbarkeit sind nicht das gleiche. Die Unverwechselbarkeit
eines Menschen im konkreten Zusammenleben besteht nicht darin, dass
ich weiß, wie er heißt und ihm die kleinstmögliche
Anzahl von Eigenschaften zuschreiben kann, die auf niemand sonst
exakt passt. Empirische Wissenschaften sind in diesem Sinn viel
weniger beobachtend als die alltägliche Lebenspraxis.
Da
die empirischen Wissenschaften nach ihrem eigenen Programm
komplexitätsreduzierend vorgehen, stellen sich ihnen die Fragen
nach Validität, Reliabilität
und Objektivität. Man hat wie man weiß zu fragen:
misst eine Kenngröße, was sie messen soll, ist sie valide
(weiß ich, wie zufrieden die Mitarbeiter sind, wenn ich nach
der Anzahl der Fehltage frage? Nein, dadurch nicht. Es könnte sein, sie sind wirklich krank und nicht unzufrieden.). Ist eine
Messung reliabel, kommt es bei Wiederholung zu einem ähnlichen
Messergebnis? Und ist das Ergebnis einer Messung unabhängig von
Prüfer und Messgerät? All das ist bekannt, aber darum nicht
trivial. Solche Fragen muss man sich nur dann stellen, wenn man die
Zahl der Messungen, die man anstellen muss, um eine Aussage treffen
zu können, so klein wie möglich halten will. Das würde
man nicht müssen, wären die empirischen Wissenschaften
nicht Ressourcen verbrauchend.
Wenn
ich alle Mitarbeiter frage, ob sie mit ihrer Arbeit zufrieden sind
und sicherstelle, dass ich mitbekomme, wie unterschiedlich es ist,
was sie unter zufrieden
sein
verstehen, und wenn ich mich zudem versichere, dass niemand einen
Grund hat, mich aus welchem Grund auch immer zu belügen, brauche
ich mir um Validität, Reliabilität und Objektivität
keine großen Sorgen mehr zu machen. Ich muss allerdings
eingestehen, dass die gewünschte Vollständigkeit auch in
einem alltagssprachlich politisch-literarischen Kontext nicht
erreichbar ist.
Die
Alltagspraxis macht offensichtlich einen anderen Gebrauch von den
Kriterien, die für empirisch wissenschaftliche Theoriebildung
gelten würden. Etwa von der Forderung nach Explizitheit. Auf
sie kann Alltagspraxis so wenig verzichten wie wissenschaftliche.
Wenn das, was ich sage, unverständlich ist, könnte ich das
Sprechen auch lassen. Wenn ich allerdings nur sagen dürfte, was
jeder versteht, brauchte ich mit dem Sprechen ebenfalls nicht zu
beginnen. Die Verständlichkeit ist auf sich verändernde
Kontexte beschränkt. Am Arbeitsplatz müssen mich meine
Mitarbeiter verstehen können. Zu Hause meine Frau. Es ist
allerdings vergleichsweise unerheblich, ob meine Mitarbeiter
verstehen, was ich meiner Frau erzähle und umgekehrt.
Offenbar
versuchen demgegenüber empirische Wissenschaften, einen
gemeinsamen Kontext herzustellen, der sich nicht ändert und ihn
über lange Zeit aufrecht zu halten und gegenüber anderen
Kontexten zu favorisieren. Alltagspraktisch geschieht in vielen
Bereichen etwas ähnliches, etwa am Arbeitsplatz. Aber
Explizitheit wird alltagspraktisch nicht global beansprucht und ist
von den Diskursteilnehmern leichter
verhandelbar.
Alltäglich
gebrauchen wir unsere Sinne, um Qualität von Dingen in der Form
von Unterscheidungen an den Dingen feststellen zu können.
Alltägliche
Erfahrung ist darin entschieden weniger reduzierend als
wissenschaftliche. Alltägliche Erfahrung achtet stärker auf
Qualitäten, schon deshalb, weil die Quantitäten, mit denen
wir es um uns herum zu tun haben, überschaubar sind. Das ändert
sich allerdings seit langem durch die Verwissenschaftlichung der
Berufsarbeit und die globale Ökonomisierung und Konkurrenz
sämtlicher marktwirtschaftlicher Tätigkeiten. Dadurch nimmt
die Beschäftigung mit Quantitäten anstelle der
Differenzierung von Qualitäten einen zunehmend größeren
Raum in der Alltagspraxis ein. Der Zwang zur Reduzierung erreicht uns
von den Wissenschaften aus als Spezialistentum.
Wie
man festgestellt hat, kennt heute jeder einzelne Mensch jeden anderen
einzelnen Menschen auf der Welt um weniger als zehn Ecken. Ich kenne
A, A kennt B, B kennt C usw. Spätestens nach der zehnten
Filiation kenne ich jeden Menschen auf der Welt. Das ist sozusagen
quantitativ richtig und qualitativ unsinnig. Es ist unsinnig, weil
ich nicht einmal B kenne. Und es ist etwas Wahres daran. Die globale
Konkurrenz zeigt, wie nah mir selbst der entfernteste Mensch ist.
Ein weiteres Kriterium empirisch wissenschaftlicher Theoriebildung wäre
Widerspruchsfreiheit. Sie ist in Alltagspraxis ebenso
Thema, sofern Alltagspraxis in Ordnungen stattfindet, die uns auf
Widerspruchsfreiheit einschwören. Alltagspraktisch bezeichnet
Widerspruchsfreiheit jedoch eher einen stets lebendigen Konflikt als
ein Prinzip. Ähnlich steht es um Prüfbarkeit und
praktische Anwendbarkeit. Wie mir scheint ist Alltagspraxis
zumeist viel zu offen und experimentell, um so etwas wie
Vollständigkeit zu beanspruchen.
Im
Hinblick auf die Forderung an wissenschaftliche Theoriebildung nach
größtmöglicher Sparsamkeit bei der Anzahl der
erforderlichen Begriffe sehe ich den größten Unterschied
zwischen alltäglicher und wissenschaftlicher Rationalität.
Damit sind wir erneut beim Lexikon und der Tendenz, es ohne jeden
Vorbehalt auszuweiten und uns gerade nicht zu beschränken.
Will
man ernsthaft die Frage stellen: was sind die überdauernden
individuellen Besonderheiten der Menschen, dann muss man an zwei
Seiten extrem reduzieren und muss zu plausiblen Regeln der Reduktion
kommen. Man muss es schaffen, eine Grundgesamtheit von dann 7
Milliarden Menschen extrem zu reduzieren, und man muss es schaffen,
den relevanten Teil des Lexikons, der menschliche Besonderheiten
beschreibt, ebenso erheblich zu reduzieren. Dieser Versuch sieht sich
angesichts der 18.000 Eigenschaftsworte nicht unbedingt vor eine
Chance gestellt, mit so viel Komplexität wie nur möglich
umzugehen, sondern vor einen inoperablen Ballast. Von den 18.000
Eigenschaftswörtern müssen also möglichst viele
gestrichen werden. Nur welche müssen gestrichen werden und
welche müssen übrig bleiben?
Adjektive
wie »ängstlich, furchtsam, nervös« bedeuten
offenbar fast das gleiche, aber nicht genau. Kommt man bei der
Beschreibung menschlicher Besonderheiten nicht mit einem davon aus?
Aber welches von den dreien soll es sein? Alle drei beschreiben
Qualitäten. Nur haben »ängstlich, furchtsam und
nervös« sozusagen keinen Preis, mittels dessen man sie
vergleichen könnte.
Die
Vergleichbarkeit wird sogar noch dadurch
erschwert, dass es keine
allgemeine Regel dafür gibt, was wir in einem gegebenen Kontext
als eigenschaftsgleich oder qualitativ gleich bewerten. Qualitäten
sind keine kontextübergreifend wohlbestimmten Gegenstände
der
Rede.
Wenn
ich zwei Schulkinder
miteinander vergleiche und einen von beiden ängstlicher
finde als den anderen, lege ich sicher ein anderes Maß an, als
wenn ich zwei Soldaten im Kriegseinsatz vergleiche. Qualitäten
bilden also keinen echten Gegenstandsbereich
mit
wohlbestimmten Gleichheiten und Ungleichheiten. Alle
Reflexionsaussagen über Qualitäten
sind notwendigerweise logisch ›unscharf‹. Qualitäten
sind außerdem relational.
D. h. sie sind immer eine Art von Beziehung eines wahrnehmenden
Subjekts auf wahrnehmbare Gegenstände in der Welt.
Verwandlung von Qualität in Quantität
Wie
kann man »ängstlich, furchtsam, nervös« dennoch
quantifizieren und z.B. danach mit »selbstsicher,
ordentlich und besonnen«
vergleichen. Andererseits, warum sollte das schwerer sein, als Wasser
in Wein zu verwandeln? Durch Vergleich und Tausch mittels eines
Äquivalents.
(Drei,
vielleicht vier Akteure können Wasser in Wein verwandeln: die
Bauern, die Götter und das Geld und vielleicht die
Lebensmittelindustrie.) Es ist ein Vorgang, der in der Moderne nichts
von seiner Magie verloren hat, denn das Wesen der Qualitäten
besteht darin, das zu sein, was sie sind und nicht sogleich etwas
anderes. Schauen wir also der Verwandlung menschlicher Eigenschaften
so genau wie möglich auf die Finger, denn am Startpunkt der
empirischen Sozialwissenschaften liegt eine massive qualitative
Entdifferenzierung, ein Verlust von Wahrheit. Bei der Entwicklung der
big five, der Leitadjektive
der Persönlichkeitspsychologie, grenzt diese Entdifferenzierung
ans Absurde. Das lässt sich Schritt für Schritt
nachzeichnen.
Jede
Ware hat ihren Preis, ihr quantitatives Maß, wie qualitativ
unterschiedlich die Warenwelt auch sein mag. Soweit Preisbildung
funktioniert, was sie zweifellos ubiquitär tut, bedarf es
entwickelter Machtverhältnisse auf Seiten der Marktteilnehmer,
denn wie Marx gezeigt hat, gibt die dingliche Gestalt der Waren, ihre
Qualität, von sich aus kein Wertmaß her. Ebensowenig geben
menschliche Eigenschaften von sich aus ein Vergleichsmaß her.
Und doch besteht die Lösung der empirischen
Wissenschaften bei der Eliminierung von Eigenschaften ebenfalls
darin, Qualitäten über Quantitäten vergleichbar zu
machen. Man erfindet sozusagen einer Währung, um furchtsam
in nervös umzurechnen. Wie geht das?
Man
kann z.B. jemandem die Frage stellen: Sind sie oft nervös?
Und ihn um eine zahlenmäßige
Bewertung bitten. 1 soll bedeuten, dass die Aussage nicht zutrifft, 2
bedeutet, dass sie gelegentlich zutrifft, 3, dass sie manchmal
zutrifft und manchmal nicht, 4, dass sie eher zutrifft und 5, dass
sie in hohem Maß zutrifft. Es ist uns längst völlig
selbstverständlich, Anweisungen wie dieser zu folgen. Wir haben
den Eindruck, immer noch bei einer rein qualitativen Beschreibung zu
sein.
Bin
ich oft nervös? Könnte ich nicht sagen. Aber nie, das
könnte ich auch nicht sagen. Ja, gelegentlich. Was soll ich
ankreuzen, um diese qualitative Selbsteinschätzung auszudrücken?
Die 2.
Was
ich damit ankreuze, ist der 2tePlatz in der Liste, nicht der Wert 2.
Der Augenblick aber, in dem der Proband den Fragebogen aus den Händen
gibt und der Psychologe ihn in Händen hält, ist der
Augenblick der Wandlung von Qualität in Quantität.
Nervosität ist von nun an ordinalskaliert.
…
Aber
damit noch nicht mit anderen Eigenschaften vergleichbar. Ebenso kann
man mit jeder anderen Eigenschaft umgehen, also z.B. auch mit
»furchtsam«.
Wenn man die selben Menschen nach ihrer Furchtsamkeit fragt, die man
zuvor nach ihrer Nervosität gefragt hat, wird man feststellen,
dass nicht alle, die sich als nervös einschätzen, sich auch
im gleichen Maß für furchtsam halten.
Anschließend kann man fragen, ob Menschen, die aussagen, in
höherem Maß furchtsam zu sein, auch aussagen, in gleich
hohem Maß nervös zu sein. Auch hier wird man feststellen,
dass das nicht immer so ist. Jemand könnte im Interview z.B.
sagen, er sei zwar grundsätzlich ein eher ängstlicher
Mensch, habe jedoch keinen Grund zu ausgeprägter Nervosität,
denn er schütze sich genügend. Man wird, der Erklärung
folgend, auf einen Menschen treffen, der die aufgenötigte
Quantifizierung sogleich wieder zurückweist und viel eher
geneigt ist, sich mit Hilfe des Fundus seines 550.000 Wörter
umfassenden Diktionärs qualitativ zu differenzieren. Genau das
scheint mir ein wichtiger Grund zu sein, warum trotz einer
programmatisch reduzierenden Wissenschaftlichkeit, die
allerorten ausgebreitet wird, der Sprachumfang nicht nach und nach
schrumpft und die Wissenschaft der Bildung (denn nichts anderes als
Bildung ist die Fähigkeit der qualitativen Differenzierung),
nicht den garaus macht.
Korrelation - Schritt für Schritt
Der nächste gedankliche Schritt hin zur empirischen
Sozialwissenschaft ist der Gedanke der Korrelation.
Ich konstruiere folgendes Beispiel: Korrelieren Ängstlichkeit
und Nervosität? Wonach frage ich dabei genau? Suche eine
Zahlenangabe, die beschreibt, ob tendenziell Personen, die sich als
eher ängstlich einschätzen, sich auch als eher nervös
einschätzen und würde in diesem Fall von einer positiven
Korrelation sprechen. Wenn ich feststellen sollte, das gerade die,
die sich als ängstlich
einschätzen, sich als besonders wenig nervös einschätzen,
wäre das eine negative Korrelation. Wenn ich nun genügend
Menschen befrage, werde ich irgendwann feststellen, dass alle
möglichen 25 Kombinationen der beiden Eigenschaftsausprägungen
vorkommen.
Peter
z.B. kreuzt auf die Frage »Sind sie oft ängstlich?«
Die Antwortmöglichkeit an, die zufälligerweise an der
dritten Stelle steht, indem er die Aussage für zutreffend hält:
»Manchmal bin
ich ängstlich und manchmal nicht«.
Der Psychologe kodiert diese Antwort mit der Ziffer 3. Um es noch
einmal deutlich zu sagen: Hätte der Fragebogen die gleichen
Antwortmöglichkeiten geboten, nur in einer anderen Reihenfolge,
hätte das für den Befragten nichts an der Möglichkeit
geändert, seine qualitative Aussage zu machen: »Manchmal
bin ich ängstlich und manchmal nicht«.
Er hätte die Antwortmöglichkeit ebenfalls gefunden, nur an
anderer Stelle. Dem Auswerter jedoch wäre die Möglichkeit
versagt gewesen, die Qualität quantitativ umzudeuten.
Lassen
wir Peter nun auf die Frage »Sind sie oft nervös?«
die Antwortmöglichkeit ankreuzen, die zufällig an zweiter
Stelle steht: »Gelegentlich bin ich nervös«, womit
er also insgesamt über sich ausgesagt hat: »Manchmal
bin ich ängstlich und manchmal nicht. Und außerdem trifft
zu, dass ich gelegentlich
nervös bin.«
Im Alltagsleben würde uns das über Peter nichts sagen. Wir
würden ihn um weitere Erklärungen bezüglich des
Kontextes seiner Selbsteinschätzung bitten. Dem Psychologen
hingegen reicht es zunächst als Aussage. Er würde wie folgt
kodieren: Person 1, Ängstlichkeit 3, Nervosität 2. Nehmen
wir an, er ginge bei 9 weiteren Personen mit der gleichen Dürftigkeit
vor, dann käme er zu Werteliste wie der folgenden:
Person
1, Ängstlichkeit 3, Nervosität 2.
Person
2, Ängstlichkeit 1, Nervosität 1.
Person
3, Ängstlichkeit 2, Nervosität 2.
Person
4, Ängstlichkeit 1, Nervosität 3.
Person
5, Ängstlichkeit 1, Nervosität 1.
Person
6, Ängstlichkeit 1, Nervosität 1.
Person
7, Ängstlichkeit 1, Nervosität 1.
Person
8, Ängstlichkeit 3, Nervosität 1.
Person
9, Ängstlichkeit 1, Nervosität 1.
Person
10, Ängstlichkeit 4, Nervosität 5.
Die
Namen der Personen fehlen nicht nur aus Datenschutzgründen,
sondern auch deshalb, weil die realen Personen so wenig
interessieren wie die Kontexte.
Im
nächsten Schritt wird der
Mittelwert für Ängstlichkeit
und für Nervosität gebildet.
Mittelwert
für Ängstlichkeit:
(3+1+2+1+1+1+1+3+1+4)/10 = 1,8
Mittelwert
für Nervosität: (2+1+2+3+1+1+1+1+1+5)/10 = 1,8
Nunmehr
wird für jeden einzelnen Wert aller 10 Teilnehmer für
Ängstlichkeit und Nervosität angegeben, um wieviel er vom
jeweiligen Mittelwert abweicht. Die beiden Abweichungswerte werden
sodann miteinander multipliziert. Also für Person 1
beispielsweise:
Person
1, Ängstlichkeit (x) = 3
Nervosität
(y) = 2
Ängstlichkeit-Mittelwert
Ängstlichkeit (Xi-Mx) = 1,2
Nervosität-Mittelwert
Nervosität (Yi-My) = 0,2
(Xi-Mx)*(Yi-My)
= 0,24
Das selbe macht man für alle 10 Personen.
Nunmehr
fragt man nach dem Mittelwert der Produkte (Xi-Mx)*(Yi-My)
(0,24+0,64+0,04-0,96+0,64+0,64+0,64-0,96+0,64+7,04)/10=8,6/10=0,86
Für die weitere Berechnung benötigt man die Standardabweichungen von
Ängstlichkeit und Nervosität.
Dazu quadriert man die jeweiligen Abweichung des Wertes vom Mittelwert.
Man benötigt alle (Xi-Mx)^2 und
alle (Yi-My)^2
Die
Mittelwerte von (Xi-Mx)^2 und (Yi-My)^2 heißen Varianz X und
Varianz Y.
Varianz
X =
(1,44+0,64+0,04+0,64+0,64+0,64+0,64+1,44+0,64+4,84)/10=11,6/10=1,16
Varianz
Y =
(0,04+0,64+0,04+1,44+0,64+0,64+0,64+0,64+0,64+10,24)/10=15,6/10=1,56
Die
Standardabweichungen endlich sind die Wurzeln der Varianz.
Standardabweichung
X = 1,08 Standardabweichungen Y = 1,25
Nun
liegen alle Werte zur Berechnung der Korrellation von Ängstlichkeit
und Nervosität vor.
Korrelation
r =
(summe((Wert
x- Mittelwert x)*(Wert y- Mittelwert y))/n)/
(standardabweichung
x * standardabweichung y) = 0,64
Korrelation
von Ängstlichkeit und Nervosität = 0,64. Dies wäre das
Ergebnis aufgrund unserer 10 Musterprobenden. Man würde als
Sozialwissenschaftler natürlich die Anzahl der Befragten
vergrößern, sie vielleicht parallel oder zeitversetzt ein
zweites Mal durchführen. Man würde sich über Validität
und Reliabilität detaillierte Gedanken machen. Aber das ändert
nichts, daran, dass man Schritt für Schritt so vorgehen würde,
wie ich das hier beschreibe, um zu einer Korrelation von zwei
Eigenschaften zu kommen. Man sieht, dass man auf genau die gleiche
Weise vorgeben kann, ob sich zwei Eigenschaften eher ähnlich
oder eher unähnlich sind. Ergäben ängstlich und
nervös eine positive Korrelation von 0,64 wie in unserem
Beispiel, so ordentlich und phantasievoll vielleicht
ein Korrelation von 0,01 und friedfertig und streitlustig eine stark
negative Korrelation von -0,81.
Das mathematische Modell der Korrelation ist einfach und Schritt für
Schritt nachvollziehbar. Aber die Beziehung der auszudrückenden Qualität zum mathematischen Modell,
mittels dessen Quantiäten verglichen werden, bleibt beliebig.
Was hat z.B. der Mittelwert der Nennungen von 10 Personen zum Item Nervosität mit der
an sich selbst wahrgenommenen Nervosität zu tun, von der ein Proband in der Weise berichtet, dass er auf dem Fragebogen etwas ankreuzt?
Durchschnitts-Nervosität ist sicher keine Qualität mehr. Und Varianzen sind keine Intensitätsunterschiede,
egal, wie sie errechnet werden.
Und geradezu magisch ist die Geltung der Korrelation, ihr letzter Schritt, den man
kaum bemerkt, weil es kein mathematischer mehr ist, die
prognostische Wirkung in einem Netz von Überzeugungen, um
derentwillen die Reduktion vorgenommen wird. Jeder Psychologe und
jeder Statistiker weiß das und warnt entsprechend. Wenn mich
die Mathematik der Korrelation davon überzeugt hat, dass bei
einem Mitglied der Population P die Ausprägung des Merkmals A
positiv mit dem Vorhandensein der Eigenschaft B korreliert, sagen
wir, eine teure Uhr am Handgelenk positiv mit dem Vorhandensein eines
gewissen Geldvermögens, so ist und bleibt das eine unbewiesene
Erwartung und jeder aufgeklärte Teenager weiß spätestens
nach dem ersten Misserfolg, dass man sich darin nicht täuschen
lassen sollte, was nicht hindert, Jahre später einem
Finanzberater in die Fänge zu laufen, der ihn und hundert
Mitmenschen mit dem guten Namen der Bank, für die er arbeitet
und mit neuen Korrelationen von der Gefahrlosigkeit eines Investments
überzeugt, weil er sich selbst von der Machbarkeit eines
Hauskaufs bei kleinem Einkommen hat überzeugen lassen, was ihn
jetzt dazu zwingt, sein Verkaufssoll an Wertpapieren zu erfüllen.
Was weiss ich, wenn ich eine Korrelation kenne? Nichts von meinem Nächsten.
Und in der Tat behauptet das die Persönlichkeitspsychologie auch richtigerweise nicht.
Die
Reduktion im Zentrum der empirischen Sozialwissenschaften basiert auf
recht einfachen mathematischen Modellen - die neuen Sachfragen
angepasst und damit komplexer werden - , deren prognostischer
Wert sich allererst in einer Phantasie entfaltet, die selbst gar
nicht mehr Teil der empirischen Sozialwissenschaften ist und vor der
Sozialwissenschaftler sogar warnen, obwohl sie sie permanent
bedienen, nämlich in der Vorstellung, den anderen zu kennen,
bevor man ihn kennengelernt hat.
Wenn daran ein Stück Wahrheit ist, kann die apriorische Bestimmtheit eines jeden,
- die Tatsache, dass sich die verkürzende Vermutung, ihn immer schon ein Stück weit zu kennen,
durchaus praktisch bewährt, - nur aus
unserem gesellschaftlichen Zusammenleben stammen, soweit uns dies darin beschränkt,
uns voneinander zu unterscheiden.
Um bereits ein Gutteil dessen zu verstehen, was typisch für Peter als Patient ist, muss ich nicht erst Peter kennenlernen,
sondern ein Krankenhaus und die Gesundheitsversorgung.
Ich formuliere damit nicht eine Kritik an den empirischen Sozialwissenschaften, sondern versuche,
ihre Geltung zu erfassen, warum sie mit der Simplifizierung durchkommt. Dass sie methodisch reduktionistische
Modelle produzieren, sagen Psychologen klar und deutlich.
Beobachten heißt im Sinne der empirischen Wissenschaften die
Beobachtung einschränken, nur möglichst fokussiert beobachten.
Die grosse Reduktion
Bis hierhin haben wir vom Diktionär der 18.000 Eigenschaften
gesprochen und vom rein mathematischen Modell der Korrelation, durch
das jede der 18.000 mit jeder anderen vergleichbar wird und das
Vergleichsergebnis ein einfacher Zahlenwert ist.
Wie lässt sich von hieraus die Anzahl der Eigenschaften auf eine
überschaubare Größe reduzieren?
Norman (1967) reduzierte die Liste der 18.000 Worte auf 2800
Eigenschaftsworte, die er für besonders gebräuchlich hielt.
Diese teilte er in Gruppen von je 200 Eigenschaftsworte auf und bat
je 100 Studenten, sich im Hinblick auf diese Eigenschaften zu
beurteilen. Im Ergebnis blieben ca, 1600 Eigenschaftsworte übrig,
die alle Studenten verstanden hatten und im Hinblick auf die ihnen
Selbsteinschätzungen möglich waren. Goldberg (1990)
wiederum reduzierte diese Liste in mehreren Klassifikationsschritten
durch Studenten auf 339 Adjektive, die in 100 Gruppen fast synonymer
Worte eingeteilt wurden (z.B. enthielt die Gruppe »Fear«
die Adjektive »anxious, fearful, nervous«). Mit diesen
führte man eine Faktorenanalyse durch. Was ist eine
Faktorenanalyse? (Die folgende Darstellung entnehme ich Jens B.
Asendorpf, Psychologie der Persönlichkeit, Heidelberg 2007, S.
151 ff)
»Das
Vorgehen bei der Faktorenanalyse sei hier an einem Beispiel
illustriert. Studierende beurteilten sich in bezug auf 15
Eigenschaften auf einer Antwortskala von 1–5. Jede Person
kreuzte also 15 Werte an. (Obige) Tabelle zeigt die Korrelationen
zwischen allen Paaren von Eigenschaften (...). Die Korrelationen sind
realistisch; sie basieren auf Daten von Ostendorf an über 1000
Studierenden.
Die
Eigenschaften wurden bereits so sortiert, dass eine klare Struktur
deutlich wird. Betrachten wir nur die fett gedruckten höheren
(positiven oder negativen) Korrelationen, so lassen sich
Dreiergruppen unterscheiden. Jeweils die ersten beiden Eigenschaften
jeder Dreiergruppe korrelieren positiv miteinander und die dritte
Eigenschaft negativ mit den beiden vorangehenden Eigenschaften. Zum
Beispiel korreliert kontaktfreudig .52 mit lebenslustig, und
schüchtern korreliert –.56 mit kontaktfreudig und –.53
mit lebenslustig. Dieses Korrelationsmuster weist darauf hin, dass es
eine Eigenschaftsdimension gibt, die von kontaktfreudig und
lebenslustig auf der einen Seite zu schüchtern auf der anderen
Seite reicht. (…) Im Großen und Ganzen scheint es also 5
verschiedene, relativ unabhängige Dimensionen zu geben, die den
Dreiergruppen entsprechen. Das wird durch die Faktorenanalyse dieser
Korrelationen bestätigt.
(…)
Die Faktorenanalyse ist ein statistisches Verfahren, mehr oder
weniger korrelierende Variablen in Gruppen miteinander korrelierender
Variablen zusammenzufassen. Jede solche Variablengruppe wird durch
einen Faktor repräsentiert, wobei man sich unter einem Faktor
eine neue Variable vorstellen kann, die so gewählt ist, dass
ihre Ähnlichkeit zu allen Variablen der Gruppe maximal ist.
Erfassen die Variablen Eigenschaften, entsprechen die Faktoren
breiteren Eigenschaften. (...) Die Faktoren lassen sich durch die
Variablen mit hoch positiven und hoch negativen Faktorenladungen
inhaltlich interpretieren.«
Bei
der Faktorenanlyse geht es jetzt also– um im Beispiel zu
bleiben - nicht darum, aus den Eigenschaften kontaktfreudig,
lebenslustig und schüchtern, eine bestimmte Eigenschaft
auszusuchen, die in Zukunft die ganze Dimension vertritt, sondern
darum, eine vierte, namenlose und hypothetische Eigenschaft zu
errechnen, deren mathematische Charakteristik so ist, dass sie mit
dem kleinst möglichen Fehler anstelle der drei
Originaleigenschaften der Gruppe in deren Korrelationen zu alle
möglichen Eigenschaften außerhalb der Gruppe eintreten
kann.
Der
Erfolg davon ist, dass die Zahl der möglichen Eigenschaften um
den Preis einer berechenbaren Unschärfe verringert werden kann,
dass man es statt den drei ursprünglichen Eigenschaft mit einer
neuen theoretischen Eigenschaft zu tun hat. Es ist nun Sache der
empirischen Psychologen, dieser Kunsteigenschaft einen Namen zu geben
und zu interpretieren, was sie wohl in der Realität bedeuten
könnte. Man kennt ihre Korrelationswerte, und dennoch ist sie
empirisch nicht direkt beobachtbar,
diese sich selbst genießende Kontaktfreude, die, wo sie
missrät, in eine Art schambeladene Schüchternheit
umschlägt.
In
dieser Art jedenfalls wurde es möglich, Persönlichkeitsinventare
auf nur noch fünf, statistisch unabhängige Dimensionen zu
reduzieren, auf die big five.
Nennen
wir sie:
Neurotizismus,
Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Offenheit für
Erfahrung.
Auf
eine Suche nach der verlorenen Zeit kann man sich mit diesen
fünf Eigenschaftsworten gerade nicht machen. Man stelle sich
einen Menschen vor, der – er mag über alle 18.000
Adjektive verfügen – sich weigert, mehr als 5 Adjektive zu
benutzen, um andere Menschen zu beschreiben, und der diese auch noch
besonders grobschlächtig in nur 5 Abstufungen verwendet, der uns
also eine Sprache weit unter jedem Schulniveau anbietet.
Geltung,
Menschenbewirtschaftung, Seelenbewirtschaftung
Was
macht es nun aber interessant, die Sphäre der persönlichen
Feindifferenzierung unter Menschen zu verlassen, die zugleich die
Sphäre der Bildung, der Literatur, der Politik und Kultur ist,
um reduzierend und quantifizierend in ein Projekt einer empirischen
Sozialwissenschaft einzutreten?
Ich
sage das nicht, weil es neu wäre, sondern weil wir ständig
geneigt sind, derlei Vereinfachungen für unhintergehbare
Wahrheiten zu halten. So zitiert der eine oder andere
Neurowissenschaftler heute die big five, um zu demonstrieren, wie nah
er mit seinen Tomographen der Seele gekommen ist. Wir neigen dazu, derlei für wahr zu
halten, weil man uns mit Blick darauf irgendwann einmal
einen Job gegeben hat und uns, wenn wir Pech haben, ebenfalls mit
Blick darauf in die Psychiatrie einweist. Und dennoch handelt es sich
um eine Reduktion, die von uns so gut wie nichts übrig lässt.
Was
wären wohl die Fragen, mit denen man sich ausgerechnet an diesen
Spezialisten wenden sollte, oder sollte man ihn besser einen
sprachbehinderten Autisten nennen?
Man
bekommt schnell eine Antwort wie folgende: Persönlichkeitsinventare
werden häufig im Rahmen von Einstellungstests und
Personalauswahl verwendet und sparen dort viel Geld.
»Barrick
und Mount (1991) fanden, dass der Faktor Gewissenhaftigkeit die
besten Vorhersagen lieferte. Die mittlere »wahre« (…)
Korrelation zwischen selbstbeurteilter Gewissenhaftigkeit und
Vorgesetztenurteil betrug für beide Vorhersagekriterien .23
(...). Diese Korrelationen sind angesichts der großen
zugrundeliegenden Stichprobe weitaus besser als der Zufall. Sie
erscheinen zunächst nicht groß. Dennoch ist ihr Nutzen
beträchtlich, wenn man bedenkt, dass Persönlichkeitsfragebögen
in großem Stil einfach und preiswert verwendet werden können.
Nutzenabschätzungen zeigen, dass bei mittleren Mitarbeiterkosten
(Außendienstmitarbeiter einer Versicherungsgesellschaft) und
einer Validität von .18 der Gewinn gegenüber einer
Zufallsentscheidung bei 430 € pro Einstellung liegt (...). Wenn
dies auf die Millionen Arbeitsplätze hochgerechnet wird, die in
den USA jährlich besetzt werden, könnten
Persönlichkeitsfragebögen jährlich Milliarden
Dollar erwirtschaften.«
(Asendorpf, ebd. S. 169 f.)
Auf
die Idee zu kommen, unterschiedliche Eigenschaften miteinander zu
korrelieren, ist für sich gesehen ein beachtlicher Akt der
schöpferischen Phantasie und sonst einmal nicht viel mehr. Wenn es stimmt, dass
Persönlichkeitsfragebögen
jährlich Milliarden Dollar einsparen, wäre das allerdings
in der Tat eine erhebliche reale Geltung, die sich bei
psychiatrischer Diagnostik, bei Optimierungen des Einsatzes von
Ressourcen und bei Vorhersagen fortsetzt. Es sind jedoch wie am
Warenmarkt Machtverhältnisse, die diesem Akt der Phantasie reale
Geltung verschaffen. Marx hat das für den Warenmarkt bereits im
19. Jahrhundert plausibel machen können.
Es ist geradezu eine Definition von Machtverhältnissen,
dass darin ungleiches vergleichbar wird. Das wäre ein
Gedankengang, den ich hier wenigstens andeuten möchte.
Der
Blick der Persönlichkeitspsychologie und der anderen heutigen
empirischen Sozialwissenschaften sieht den Menschen, - das dürfte
deutlich geworden sein -, nicht als besonderes Individuum, als
Gegenüber, als den 'Nächsten', mit dem ich zusammenlebe.
Sie beschreibt vielmehr Grundgesamtheiten, Teilaspekte
quantifizierter Mengen von Menschen und wendet sich beschreibend
ausschließlich den Aspekten des Einzelnen zu, die sich mit den
entsprechenden Aspekten der Menschenmengen vergleichen lassen, sei
es, um die Mengen präziser zu bestimmen, sei es, um den
Einzelnen in diesem Vergleich zu beurteilen.
Ein solcher
Blick hat eine lange Vorgeschichte. 2700 v.Chr. im alten Ägypten
und im China der Xia-Dynastie (ca. 2000 v.Chr.) finden sich sehr früh
Volkszählungen. Rom zählt regelmäßig seine
Bevölkerung. Für Kanalbau, für Pyramidenbau, die
Aufstellung eines Heeres oder als Basis der Steuererhebung braucht
man amtliche Listen und Menschenmassen.
Für
ein indigenes Volk wie den Yanomami hingegen, das mit ca. 30.000
Menschen den Oberlauf des Orinoko bewohnt und Brandrodungs-Feldbau
betreibt, würde so etwas wie ein quantifizierender Blick auf
Menschenmassen keinen Sinn machen. Der Blick auf Menschen als
Ressource hat historische Voraussetzungen, umschreibt geschichtliche
Produktionsverhältnisse und erfordert Feindifferenzierungen,
denen ich hier im einzelnen nicht nachgehen kann. Wurde
beispielsweise in Ägypten und China der Souverän von vorn
herein als Gott betrachtet, so tritt dynastische Macht im
Absolutismus, in dem der europäische Blick auf den Menschen als
massenhafte Ressource neu entsteht, weitgehend säkularisiert
auf. Offenbar folgt der Blick auf den Menschen als Masse, wo er
entsteht, nicht ein und der selben Genealogie. Formen rudimentärer
Sozialfürsorge können in feudalen Schutzpflichten, in
Misericordia, religiöser Barmherzigkeit, verwandtschaftlicher
Verpflichtung oder persönlichen Loyalitäts-Pflichten
gründen, ohne die Sorge um eine Ressource in den Mittelpunkt zu
stellen, die aus Gründen des Machterhalts zu bewirtschaften
wäre. Der Blick, der in einer Ansammlung von Menschen nicht nur
das Volk, die Gemeinde oder den Feind, sondern primär die
Ressource sieht, unterliegt geschichtlichen Bedingungen.
Die
Geschichte der amtlichen Statistik ist offenbar eng verbunden mit der
Geschichte dieses Blicks. Das statistische Wissen wird die längste
Zeit, mehr oder weniger durchgängig bis ins neunzehnte
Jahrhundert hinein, als strategisches Geheimwissen der Regierungen
betrachtet, als etwas, das sie schwächen würde, wenn es in
die Hände konkurrierender Mächte geriete.
(Foucault
schreibt am Ende von Die Ordnung der Dinge:
»Der
Mensch ist eine Erfindung, deren junges Datum die Archäologie
unseres Denkens ganz offen zeigt. Vielleicht auch das baldige Ende.
Wenn diese Dispositionen verschwänden, so wie sie erschienen
sind, wenn durch irgendein Ereignis, dessen Möglichkeit wir
höchstens vorausahnen können, aber dessen Form und
Verheißung wir im Augenblick noch nicht kennen, diese
Dispositionen ins Wanken gerieten, wie an der Grenze des 18.
Jahrhunderts die Grundlage des klassischen Denkens es tat, dann kann
man sehr wohl wetten, dass der Mensch verschwindet wie am Meeresufer
ein Gesicht im Sand.«,
Ich
würde ergänzen wollen, dass das Bild nicht nur des
Menschen, sondern auch der anonymen Masse ein ebenso vergängliches
Bild darstellt, dessen Erscheinen sich ebenfalls datieren lässt
und dessen Kulte sich beschreiben lassen. Historisch gesehen scheint
das Bild der Masse als Ressource das von Foucault gemeinte Bild des
Menschen zu umschließen, etwas früher – im
Absolutismus und Merkantilismus des 16. Jahrhunderts - zu beginnen
und – noch weiß man es nicht - etwas später zu
enden.)
Als
1648 der 30-jährige Krieg zu ende geht, versuchen Absolutismus
und Merkantilismus, mit dem regelmäßigen Finanzbedarf
einer wachsenden Beamtenschaft und stehender Heere fertig zu werden.
Staatliches Handeln erfolgt von nun an nach den Grundsätzen der
"Staatsraison". Der Einzelne wird Untertan. Die Begründung
dafür erhält der Staat durch die von Macchiavelli
vorbereitete Idee der "Souveränität"(summa
potestas). Zur bewussten Fundierung der politischen Macht durch die
Wirtschaft und umgekehrt zum Einsatz politischer Macht für
wirtschaftliche Zielsetzungen bedarf der Staat quantitativer
Planungsgrößen. Ein Mittel dazu ist die Statistik, die
schnell wachsende Bedeutung erringt. So kommt es seit dem 17.
Jahrhundert nach und nach zur Ausbildung einer Bevölkerungs-,
Gewerbe-, Finanz- und Handelsstatistik. Statistisch-mathematische
Methodik entwickelt sich parallel dazu. Als Geburtsstunde der
Wahrscheinlichkeitsrechnung gilt der Briefwechsel zwischen Pascal und
Fermat im Jahr 1654.
Der
Blick auf das Volk hat sich also in den Blick auf eine Ressource
verwandelt. Nach der Halbierung der Bevölkerung in großen
Teilen Deutschlands durch den 30-jährigen Krieg kommt es zu
entfalteten Formen von Biopolitik, „Peuplierung“,
massiver Förderung der Einwanderung, zur Gründung von
Waisenhäusern aus bevölkerungspolitischen, nicht aus
karitativen Gründen.
Die
Bevölkerung erscheint als Untertanen-Verband.
Genossenschaftliche Zusammenschlüsse wie in selbstverwalteten
Städten des Mittelalters verlieren ihre politischen
Gestaltungsmöglichkeiten.
Die
Vorstellung vom Menschen als wesentlich vernünftigem und freiem
Wesen ist demgegenüber ein Kind der Aufklärung des späten
18. Jahrhunderts. Und wenn der Mensch ab dann als ein freies Wesen
verstanden wird, wenn auch vielleicht nicht wesentlich weiter, als es
ihm seine bürgerlichen, finanziellen Möglichkeiten
erlauben, reicht es zur Bewirtschaftung der Ressource Mensch nicht
mehr, Listen zu führen und den äußeren Zustand des
Volks zu beschreiben. Denn ein Volk, das aus freien Menschen
besteht, ist nicht einfach passiv lenkbar und bewirtschaftbar wie ein
Acker, sondern es weist innere Kräfte auf, die sich zu
untersuchen lohnen. August Comte, geboren im Jahr der französischen
Revolution 1789, denkt an eine „soziale Physik“, die zu
entdecken sei und die er Soziologie nennt.
Die
Persönlichkeitspsychologie, die sich weitere hundert Jahre
später entwickelt, bietet einerseits die Assistenz für
Planungsentscheidungen, die die Statistik den Administrationen seit
dem Absolutismus zunehmend bietet, jedoch nunmehr auch als laizistische
Seelenbewirtschaftung, die die äußeren statistischen
Merkmale des Menschen, Alter, Geschlecht, Stand, Ausbildung ins
Intime hinein abrundet. Dass sie Geltung bekommt, setzt mindestens
voraus: Der Mensch muss als Ressource gesehen werden und im Hinblick
auf Kosten und Verwendbarkeit dieser Ressource muss sein Charakter,
sein Innenleben relevant sein, denn die Persönlichkeitspsychologie
richtet sich nicht an den Befragten, sondern an die, die ihn
verwalten, versorgen oder einsetzen.
Sie
ist einer von einer ganzen Reihe von Versuchen, so etwas wie die
menschliche Freiheit, die Fähigkeit, sich zu entscheiden,
empirisch in den Griff zu bekommen.
Transzendentale Schein-Alternative
Im
Gegenzug wäre hier ein Wort zur Spieltheorie zu sagen,
die versucht, Handlungsfreiheit gerade nicht empirisch, sondern
logisch-transzendental zu bewältigen. John von Neumann und Oskar
Morgenstern machten sich mit ihrem bahnbrechenden Buch Games and
Economic Behavior 1944 für eine Mathematisierung der
Wirtschaftswissenschaften stark und empfahlen, ökonomische
Theorien um strategische Kalküle zu erweitern. Sie argumentierten, dass die meisten ökonomischen
Probleme strategische Probleme sind, bei denen die Marktteilnehmer
auch die Aktionen der anderen Akteure in ihre Entscheidungen
einbeziehen müssen, da ihre Zielgrößen auch von deren
Aktionen abhängen. So können beispielsweise der
Zentralbankpräsident, der Wirtschaftsminister und die
Tarifparteien in einer Volkswirtschaft als Spieler in einem Spiel
aufgefasst werden (ganz unabhängig von empirischen Unwägbarkeiten wie ihrem Innenleben). Die
Spieltheorie fragt dann zum Beispiel danach, wie unterschiedliche
Ausgestaltungen der Vertragstexte durch unterschiedliche Anreize zu
unterschiedlichem Verhalten der Vertragspartner führen.
Die
Spieltheorie unterstellte zunächst, dass alle Spielteilnehmer
rational handeln und über vollständige Information das
Spiel betreffend verfügen. Als das trug die Spieltheorie einen
stark apriorischen Zug. In der weiteren Entwicklung wurden jedoch
verstärkt auch solche Situationen unvollständiger
Information und Lernsituation Gegenstand der Theorie, in denen
vollständig rationales Verhalten offensichtlich unmöglich
ist. Die Spieltheorie sieht sich heute als Theorie, die jede Art von
sozialen Konfliktsituationen zu analysieren und in der Konsequenz des
Gedankens zu beherrschen erlaubt.
Die
Spieltheorie kann die Grenze nicht bestimmen, bis zu der
Konfliktsituationen mit Spielen überhaupt vergleichbar sind und
sich die Kontrahenten an beschreibbare Regeln halten.
Es
scheint bei der Außenansicht auf die menschliche Freiheit ein
Dilemma zu bestehen zwischen Theorien, die im Grunde
transzendental-logisch argumentieren wie der Spieltheorie und
empirischen Theorieansätzen, die den Preis einer Simplifizierung
zu zahlen haben, die bis hart ans Absurde geht wie im Fall der big
five.
Das Nadelöhr ist durchschritten
Inzwischen
sind die big five allerdings nicht mehr auf dem technisch
neuesten Stand. Erinnert sei an das Nadelöhr bei ihrer
Entwicklung: Es bestand darin, dass sich 18.000 Eigenschaften nicht
vollständig korrelieren lassen, weil man nicht Tausende oder gar
Millionen Menschen jeweils 18.000 mal befragen kann. Im wesentlichen
wäre das ein Erfassungsproblem und in der Folge ein
Rechenproblem. Als das gehört das Nadelöhr im Prinzip der
Vergangenheit an, wenn man auf die Größenordnungen von
Daten schaut, die heute durch Internetnutzung, Kreditkarteneinsatz
und in der Telefonie anfallen. Es scheint ziemlich sicher,
dass sich die Sozialwissenschaften damit auf eine neue Grundlage stellen lassen,
sofern die neuen Datenpools nicht das Schicksal der Statistik bis ins 19. Jahrhundert teilen
und als Geheimsache betrachtet werden. Öffentlicher Zugang besteht gegenwärtig nicht.
Heute
stehen wir, Zugang vorausgesetzt, eher wieder vor der intellektuellen Herausforderung der
Synthese all dieser Information. Die Wandlung von Qualität in
Quantität ist so unheilig und im Grunde unplausibel wie zuvor.
Wie gesagt: Alle
Reflexionsaussagen über
Qualitäten
sind notwendigerweise logisch ›unscharf‹. In
der Warenwelt hat die Quantifizierung nicht nur qua Preis, sondern
auch qua begrenztem Sortiment, also der Begrenzung der
Wahlmöglichkeit eines jeden auf ein ordinales Set von Produkten,
wenn auch auf eins, das weit mehr Möglichkeiten bietet als die
des Fragebogens von 1 bis 5, längst stattgefunden und wird
außerdem voll dokumentiert und ist als das sogar einzelnen
Konsumenten zurechenbar.
Vielleicht
können wir über kurz oder lang auf die reduzierende
Beschreibung von Persönlichkeitsmerkmalen, ja überhaupt
auf Persönlichkeitsmerkmale gänzlich verzichten. Denn war
es nicht Sinn der big five, Wahrscheinlichkeiten von zu erwartendem
Verhalten zu bestimmen? Dazu werden wir das Konstrukt
'Persönlichkeit' in Zukunft vielleicht nicht mehr brauchen.
Denn
wir sind bei der Seelenbewirtschaftung und der Kenntnis von
Regelmäßigkeiten des individuellen Verhaltens durch die
Analyse des Internet-, des Kaufverhaltens und der Reisetätigkeit
und der Fülle sonstiger bereits ständig aktueller Daten zu
einzelnen Menschen bereits viel weiter.
Und
ungenügend reflektiert ist nach wie vor der Traum, all das lasse
sich beherrschen. Diese Reflexion hätte ihren Ort in Literatur.
Wenn nötig wieder mittels des gesamten Lexikons.
1) »Der
Vorwurf von Praktikern an die Sozialwissenschaft lautet häufig,
sie produziere entweder Banalitäten, die jeder Praktiker
ohnehin schon lange wisse, oder die Ergebnisse seien völlig
praxisfern. In dieser Hinsicht haben es die Sozialwissenschaften im
Vergleich zu den Naturwissenschaften heute besonders schwer. Eine
Wissenschaft, die sich mit dem Erleben und dem Verhalten von
Menschen beschäftigt, betritt ja kein Neuland; sie tritt in
Konkurrenz zu vorhandenem Alltagswissen, zu bereits vorhandener
Alltagserfahrung. Das in der Menschheitsgeschichte in Jahrtausenden
angesammelte Wissen ebenso wie das in der Entwicklungsgeschichte
jedes Individuums – in seinem ganzen bisherigen Leben -
kumulierte Alltagswissen zeichnen sich gerade durch einen hohen Grad
an praktischer Bewahrung im Alltag aus: Was sich da an Wissen und
Erfahrung angesammelt hat, muss zwar nicht unbedingt richtig sein
(im Sinne von exakter Übereinstimmung mit der Realität),
aber es "funktioniert", d.h. es hat sich in der
Bewältigung von Alltagsaufgaben als hilfreich erwiesen.«
(Helmut Kromrey, Empirische Sozialforschung, Opladen 2002, S.16) …
... bewährt, aber nicht richtig? Wer spricht hier und von woaus erreicht uns diese Stimme?
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